Dichtungen für Wasserstoff

Was Sie zum Thema Wasserstoffdichtungen wissen sollten.

Wasserstoff wird als Energieträger der Zukunft hoch gehandelt. So gibt es von der Erzeugung als sog. „grüner Wasserstoff“ über die Speicherung, den Transport und die Umwandlung in elektrische Energie genügend Themen, mit denen sich Politik, Forschungseinrichtungen und Entwicklungsabteilungen beschäftigen. Vielerorts werden Brennstoffzellen, Wasserstoffmotoren, Betankungsanlagen, Speichertanks und Herstellungssysteme (z. Bsp. Elektrolyse) für Wasserstoff mit Hochdruck weiterentwickelt, um die Hydrogen-Technologie wirtschaftlich und sicher zu machen. Immer spielen Wasserstoffdichtungen eine Rolle.

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Stefan Bock - Geschäftsführer bock-machining gmbh
Stefan BockGeschäftsführer | bock machining gmbh
Expertenbeitrag zum Thema Wasserstoffdichtungen | Zuletzt aktualisiert: 6. März 2023

So einfach ist es nun aber nicht mit der Flucht aus den fossilen Brennstoffen. Es türmen sich enorme technische Schwierigkeiten auf. Zwar hat die Natur mit der chemischen Verbindung H2O uns den Quell des Lebens geschenkt. Nur mit den interessanten Anomalien des Wassers ist das Leben auf unserem Planeten erst möglich. Doch überfordert das Handling mit dem isolierten Gas H2 meist die üblichen Aggregate wie Pumpen, Ventile und Speicher.

„Die Effizienz der Dichtungstechnik wird mitentscheidend sein, wenn es um die Zukunft der Wasserstofftechnologie geht.“

Dieses Element tritt in der Regel als Molekül H2 auf, das auch „Knallgas“ genannt wird. Wie bei Helium handelt es sich um eines der flüchtigsten Gase. Das leichteste Element des Periodensystems ist hochreaktiv und erfordert wegen der Explosionsgefahr besondere Sorgfalt im Umgang. Das H2- Molekül ist unvorstellbar klein. Deshalb kriecht es auch durch kleinste Ritzen bzw. diffundiert leicht auch durch vermeintlich „dichte“ Werkstoffe. So kann es leicht aus Tanks und Leitungen entweichen;

„Jede auch noch so winzige Pore wird zum dauerhaften Leckagekanal.“

Damit sich Hydrogen als mobiler Energiespeicher, etwa in Wasserstofffahrzeugen überhaupt eignet, muss er auf enormen Druck von bis zu 700 bar verdichtet oder sogar verflüssigt werden. Der Siedepunkt von Wasserstoff liegt bei -252,7 °C, eine Temperatur nicht sehr viel höher als der absolute Nullpunkt von -273,15°C (0 Kelvin). Um Flüssigwasserstoff zu erzeugen, werden hoch entwickelte Aggregate der Kryotechnik (Technologie für tiefkalte Prozesse) benötigt. Pumpen, Ventile und Wärmetauscher müssen aufgrund des hohen Drucks, der tiefen Temperaturen, der Explosionsgefahr und der Flüchtigkeit des Gases besonderen Anforderungen genügen. Gerade bezüglich der Dichtungstechnik dieser Aggregate ergeben sich einige extreme Herausforderungen:

  • Diffusionsdicht
  • Elastisch auch bei tiefen Temperaturen
  • Oberflächen glatt zerspanbar

Das offensichtlichste Problem der Abdichtung von Hydrogen ist aufgrund des kleinen H2-Moleküls die Rauheit der Kontaktflächen. Hier empfiehlt es sich in der Regel polierte Gegenlaufflächen einzusetzen. Bei statischen Anwendungen (z. Bsp. Flachdichtungen) sollten dabei Rz-Werte von 1µm nicht überschritten werden. Bei dynamischen Anwendungen (z. Bsp. Kolben/Stangendichtungen) empfiehlt es sich, noch glatter zu werden, um geometrische Undichtigkeiten von vorneherein auszuschließen. Die Bearbeitung der Kontaktflächen der Dichtungen erfordert ebenfalls besondere Sorgfalt, sofern sie nicht (wie z.B. bei einer Deckeldichtung) einem Einlaufen unterzogen werden können.

Wasserstoffmoleküle diffundieren durch übliche Dichtungswerkstoffe wie Elastomere und Teflon®. Selbst das häufig eingesetzte modifizierte PTFE (z. Bsp. TFM®) ist noch nicht "dicht" genug. Grafit versprödet zwar nicht, ist aufgrund seiner porösen Struktur jedoch nicht geeignet, die geforderte Dichtheit zu gewährleisten. Metallische Weichdichtungen können allenfalls statische Anwendungen abdecken. Die dynamische Abdichtung von Wasserstoff hingegen ist stets eine Herausforderung. So kommt es immer wieder zu unerwünschten Leckagen, die ein Sicherheitsrisiko darstellen. Weiterhin entstehen dadurch auch Verluste des wertvollen Energieträgers.

„Der Wirkungsgrad der Anlagen, die Wasserstoff erzeugen, transportieren, speichern und (wieder) in elektrische Energie umwandeln, hängt entscheidend von den Verlusten ab, die durch Leckagen entstehen.“

Bei diffusions-offenen Werkstoffen (beispielsweise Elastomeren) kann hoher Druck dazu führen, dass sich Wasserstoff im Gefüge einlagert. Bei einer schlagartigen Entspannung des Systems kann das gefürchtete Phänomen der sog. „explosiven Dekompression“ auftreten. Hier führt die Expansion der eingesperrten Gasmenge in der Regel zur Zerstörung einer Dichtung. Die Folge kann der Totalausfall des gesamten Systems sein.

Wasserstoff Versprödung

Nicht nur bei der Auswahl des Dichtungswerkstoffs, sondern auch bei den verwendeten Metallelementen (Stützringen, Federn, Schrauben) in der H2-Dichtung ist Vorsicht geboten. Atomarer Wasserstoff kann in das metallische Gefüge eindringen und sich dort ablagern. Dadurch steigt der Innendruck und es können Spannungsrisse entstehen. Das Material härtet aus und versprödet. Die Spannungen werden so groß, dass selbst unbeanspruchte Bauteile brechen können. Dieser Effekt tritt zeitverzögert auf, daher nennt man ihn auch „verzögerten Sprödbruch“. Austenitische Stähle mit hohem Nickelgehalt sind weitestgehend unempfindlich und teilweise für den Wasserstoffeinsatz freigegeben (z.B. 1.4435, 1.4404 und 1.4307).

Aufgrund der kryogenen (tiefkalten) Verhältnisse verspröden selbst die besten Elastomere wie z. Bsp. FKM-Dichtungen spätestens bei -60°C. Damit ist es nicht möglich, beispielsweise O-Ringe aus Gummi für Wasserstoff einzusetzen. Prinzipiell wären federunterstützte Nutringe aus einem Fluorkunststoff als Ersatz möglich. PTFE (Polytetrafluorethylen) versprödet zwar bei diesen Temperaturen nicht, scheidet jedoch aufgrund der oben beschriebenen Porosität aus.

„Für Dichtungsanwendungen in der Kryotechnik scheiden Gummiwerkstoffe aus.“

Polychlortrifluorethylen, auch kurz PCTFE ist ein thermoplastischer Fluorkunststoff, der auch bei minus 253°C noch nicht versprödet. Außerdem ist er durch seinen niedrigen Permeationskoeffizienten um ein vielfaches diffusionsdichter als beispielsweise PTFE. Vorteilhaft ist seine gute Zerspanbarkeit, die es erlaubt, beinahe jede beliebige Dichtungskontur mittels CNC-Fertigung zu drehen. Die Rohlinge lassen sich durch das sog. Kompressionmoulding auch für kleine Stückzahlen konturnah und somit wirtschaftlich herstellen. So können sämtliche bekannten Dichtungsvarianten wie Wellendichtringe (WDR), Kolben-Stangen-Dichtungen und selbst Gleitlager und Führungselemente für die Kryotechnik hergestellt werden. Kleine Stückzahlen oder vorgegebene Einbauräume sind aufgrund der spanenden Herstellung selten ein Problem.

Nun jedoch stellt das Thema rund um PFAS die Verwendung von PCTFE in Frage. Betroffen sind allesamt weitere Fluorkunststoffe, wie
PFA Perfluoralkoxy
FEP Tetrafluorethylen-Hexafluorpropylen-Copolymer
ECTFE Poly(ethylen-co-chlortrifluorethylen) (Halar)
ETFE Ethylen-Tetrafluorethylen-Copolymer

Siehe hierzu: folgende, weiterführende Links:

Ultrahochmolekulares Polyethylen hat ebenfalls die Eigenschaft, bei tiefen Temperaturen nicht zu verspröden. Aufgrund seines Materialaufbaus ist er diffusionsdicht und verfügt über ein interessantes Verhältnis von plastischen und elastischen Eigenschaften. Sein Eigenschaftsprofil macht ihn zu einem überaus interessanten Werkstoff für Dichtungen, Führungen und Kombibauteile für Ventile und Pumpen.

uhmw-pe molekuelkette

Siehe hierzu: folgende, weiterführende Links:

Wie sind Ihre Erfahrungen? Ich freue mich auf zahlreiche Rückmeldungen und Kommentare!

Ihr Stefan Bock

OBEN
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